Zur Person
Emine Sevgi Özdamar wurde 1946 in der ostanatolischen Stadt Malatya geboren, wuchs in verschiedenen Städten der Türkei auf und spielte bereits während ihrer Schulzeit Theater. Mit 19 Jahren ging sie zunächst als Gastarbeiterin nach Berlin, besuchte dann eine Schauspielschule in Istanbul und übernahm Rollen an Theatern in der Türkei. Mit ihrer Rückkehr nach Deutschland nimmt sie u. a. ein Engagement am Schauspielhaus Bochum (1979 bis 1984) an, spielt in Berlin, Frankfurt und München Theater und inszeniert ihr eigenes Stück „Karagöz in Alamania“ am Schauspielhaus Frankfurt (1986). Überdies übernimmt sie zahlreiche Filmrollen wie in Hark Bohms „Yasemin“ (1988), Doris Dörries „Happy Birthday, Türke!“ (1992), Matti Geschonnecks „Reise in die Nacht“ (1998), Torsten Wackers „Süperseks“ (2004) und Sinan Akkuş’ „Evet, ich will!“ (2008).
Einen Namen macht sich Özdamar aber vor allem mit ihrem schriftstellerischen Werk. Durch ihren Erzählband „Mutterzunge“ (1990) erstmals einer breiteren Leserschaft bekannt geworden, gelingt ihr mit dem Roman „Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus“ (1992) der endgültige Durchbruch. Bereits vor Erscheinen des Bandes erhält sie für die aus der Ich-Perspektive eines phantasiebegabten türkischen Mädchens erinnerte Kindheits- und Jugendgeschichte den Ingeborg-Bachmann-Preis.
Der Folgeroman „Die Brücke vom Goldenen Horn“ (1998) erzählt über die Erfahrungen der adoleszenten Protagonistin als Gastarbeiterin in Deutschland und dann am Theater in der Türkei. Ergänzung findet diese Entwicklungsgeschichte durch den Text „Seltsame Sterne starren zur Erde“ (2003), in dem die Rückkehr der Erzählerin ans Theater in Deutschland in Form eines mit Skizzen versehenen Arbeitstagebuchs zum Thema wird. Die Romane sind unter dem Titel „Sonne auf halbem Weg“ (2006) auch als Trilogie publiziert.
Da sich Stationen und Ereignisse aus dem Lebensbericht der namenlosen Ich-Erzählerin teilweise mit Lebensdaten der Autorin decken, werden die Texte vielfach autobiographisch gelesen und die Protagonistin als eine Art Alter Ego Özdamars verstanden. Doch eine auf das Biographische verkürzende Lesart wird dem inszenatorischen Charakter der Romane nicht gerecht. Bereits die narrative Figuration mit einer Erzählerin, die ihr früheres Selbst gleich der Protagonistin ihres Lebensspiels in unterschiedlichen Rollen in Szene setzt, verdeutlicht schon auf den ersten Blick, dass hier von einer artifiziellen Inszenierung biographischen und zeitgeschichtlichen Materials zu sprechen ist.
Dieser inszenatorische Ansatz lässt sich auch an der Migrationsbewegung innerhalb der erzählten Welt festmachen: Die Handlung konzentriert sich neben Orten, die auf Reisen besucht werden, im Wesentlichen auf die Schauplätze Berlin und Istanbul. Die Entwicklung der Protagonistin folgt von der Ankunft in Berlin über ihre Rückkehr in die Türkei und den erneuten Aufbruch in die geteilte Stadt der Struktur einer wiederholten Migration. Dabei ist das theatrale Rollenspiel für die Protagonistin in Özdamars Roman nicht nur angestrebtes Ziel des migrantischen Werdegangs, sondern auch Medium der Selbstvergewisserung auf dem fortgesetzten Weg dorthin, wie dies in der apodiktischen Feststellung Ausdruck findet: „Theater ist mein Leben.“